TRACKS
Als Gegenmodell zu Pollis städtischen Motiven ist die in den Gemälden der Werkgruppe „Tracks“ dargestellte Natur wild und ungezähmt. Ausgangspunkte für diese Malereien sind Farbfotos, aber auch Skizzen – weniger im Sinne eines Naturstudiums, sondern in farblicher wie auch formaler Reduktion –, die die Künstlerin vor Ort, also in der Natur, anfertigt und die ihr später im Atelier als Vorlagen für ihre malerischen Abstraktionen dienen. Grundlage für Pollis Arbeiten ist somit nicht eine genaue Beobachtung konkreter Pflanzen oder die Abbildung botanisch korrekter Gesetzmäßigkeiten, sondern vielmehr ein zeichnerisches Nachvollziehen des Wahrgenommenen, das auf das Greifbarmachen des Möglichen abzielt. Denn in der Reduktion und Konzentration auf primär sichtbare Strukturen, gewissermaßen als ‚Mazerat‘, als Essenz und Erinnerungsbild, sind nur die ‚Kraftlinien‘ erhalten geblieben, die der erinnerten Waldszenerie ihre Struktur verleihen und mittels derer sich jeweils eine Eigendynamik der Malerei des Bildes entwickelt. Neben diesen Primärstrukturen des Erinnerungsbildes, den hier sogenannten Kraftlinien, ist in vielen Gemälden Pollis der Farbauftrag im wahrsten Sinne besonders vielschichtig: Zwischen tiefschwarzen, oft scharf konturierten Lineamenten finden sich zarte Grauabstufungen und wolkige Farbakkumulationen, die den Blick in eine ungreifbare Tiefe leiten. Der Bildraum öffnet sich in eine weite Ferne, die in wässriger Unbestimmtheit schimmert und Muster aus nebulösen Gebilden hervorzaubert. Die spielerische Verunsicherung der Wahrnehmung beim Wechsel zwischen Mikro- und Makrostrukturen ist hier zur künstlerischen Strategie geworden.
Jan T. Wilms - Textauszug aus dem Katalog TRACKS